Beim gestrigen Einkaufen habe ich in den Supermarktregalen erste Weihnachtsnaschereien entdeckt– von Lebkuchenherzen über Spekulatius bis hin zu Dominosteinen. Noch kann ich daran keinen gefallen finden – ich habe den Traum von einem warmen Spätsommer noch nicht aufgegeben - aber wenn sich die Supermärkte bereits für die kalte Jahreszeit wappnen, können wir das schon lange. Allerdings ist Weihnachten dann doch noch in sehr weiter Ferne und vor Weihnachten kommt ja sowieso erst mal der Herbst. An einem regnerisch, ungemütlichen Tag wie gestern hat man gar das Gefühl, er steht schon energisch klopfend vor der Tür. Was kann es schöneres geben, als sich mit einem heißen Tee (wahlweise auch Kaffee oder Kakao) und einem guten Buch ins Bett oder aufs Sofa zu kuscheln und der Kälte zu trotzen? Eben, nichts! Damit ihr für einen gemütlichen Lesetag im Herbst gewappnet seid, stelle ich euch heute in unserer Kategorie NaturalBornFavorites eines meiner absoluten Lieblingsbücher vor: Sten Nadolnys Roman Die Entdeckung der Langsamkeit.
Der Roman erschien bereits 1983. Mein Exemplar ist schon ziemlich zerfleddert, nicht nur, weil ich den Roman selbst schon einige Mal gelesen habe, sondern insbesondere, weil er zuvor bereits durch die Hände meiner Eltern ging. Tatsächlich ist Die Entdeckung der Langsamkeit nämlich nicht nur einer meiner absoluten Lieblinge, sondern steht auch bei meinen Eltern ganz oben auf der Best-Of-Liste.
Worum es geht? Sten Nadolny erzählt die Geschichte des englischen Kapitäns und Polarforschers John Franklin. Um eine klassische Biografie handelt es sich allerdings nicht. Nadolny hat den Roman vielmehr bewusst nicht authentisch gehalten. John Franklin hat wegen seiner Langsamkeit immer wieder Schwierigkeiten, mit der Schnelllebigkeit seiner Zeit Schritt zu halten. Häufig wird er wegen seiner langsamen Bewegungen und Auffassungsgabe unterschätzt - sogar für „schwachsinnig“ gehalten. In seiner Kindheit wird er oft gehänselt. In seinem Onkel Matthew Flinders, einem Entdecker, findet John schließlich ein Vorbild und er entwickelt den Wunsch, selbst eines Tages auf Forschungsreise zu gehen. Um diesen Traum zu verwirklichen, heuert er bereits in jungen Jahren auf einem Schiff an. Hier stellt sich heraus, dass John zwar sehr langsam, aber gleichzeitig auch sehr gründlich und zielstrebig ist. Im Alter von fünfzehn Jahren begibt sich John schließlich auf seine erste Forschungsreise nach Lissabon. Es folgen einige Höhen und Tiefen: Der Roman erzählt von Johns ersten erfolgreichen Expeditionen, aber auch von Rückschlägen und Misserfolgen, von seinem wachsenden Ruhm, der ihn letztlich sogar in den Adelsstand befördert, und endet mit seiner letzten Expedition, zu der er 1845 aufbrach. Die sogenannte Franklin-Expedition hatte das Ziel, die Nordwestpassage erstmals in ost-westlicher Richtung zu durchsegeln und zu erforschen.
Tatsächlich liegt der Fokus aber weniger auf Franklins Forschungsreisen, vielmehr widmet sich der Roman einigen fast schon philosophisch anklingenden Fragestellungen. Beispielsweise, ob der Mensch mit der Schnelligkeit der heutigen Zeit wirklich immer mithalten können muss? Und wer eigentlich definiert was zu langsam ist - sind die anderen nicht vielleicht einfach nur zu schnell?
Sten Nadolny zeichnet mit seiner Version von John Franklin zudem das Bild eines typischen Underdogs: Zunächst nicht ernstgenommen, gar gehänselt, entdeckt er seine speziellen Talente und Fähigkeiten und brilliert, nicht zuletzt auch wegen seiner großen Beharrlichkeit, auf seinem Gebiet. Die Entdeckung der Langsamkeit ist also auch eine Erinnerung daran, dass es egal ist, was andere über dich denken.
Besonders liebe ich das Buch übrigens wegen der wunderschönen Schreibweise Nadolnys, der es schafft mit beinahe jedem Satz zum Nachdenken anzuregen. In diesem Sinne, beende ich diesen Eintrag mit einem Zitat aus dem Buch und kann nur jedem noch einmal wärmstens ans Herz legen, sich dieser Lektüre anzunehmen:
„Dreimal hinsehen, einmal handeln. Junge Leute begreifen das nicht immer. Langsam und fehlerlos ist besser als schnell und zum letzten Mal.“
Kommentare
Kommentar veröffentlichen