Direkt zum Hauptbereich

Netflix' "To the Bone" - Romantisierung einer psychischen Krankheit?

Mit To the Bone hat sich Netflix nach 13 Reasons Why erneut einem heiklen Thema gewidmet und musste dafür abermals viel Kritik einstecken. Der Vorwurf: Das Drama glorifiziere Magersucht, behandle das Thema sehr oberflächlich und könne bei Vorbelasteten sogar zu Nachahmung anregen.

Da ich mich schon etwas länger mit dem Thema Magersucht und Essstörungen beschäftige und mir gerne meine eigene Meinung bilde, habe ich mir den Film, der seit dem 14. Juli auf Netflix verfügbar  ist, selbstverständlich direkt angeschaut. Hier geht's zum Trailer.

Die Handlung im Überblick: Ellen (Lily Collins) ist Anfang 20 und magersüchtig. Aufgrund Ihrer Krankheit musste sie das College abbrechen. Als sie wegen ihrer 'unkooperativen Art' zum vierten Mal aus einer Klinik fliegt, bringt ihre Stiefmutter sie im Programm „Threshold“ vom renommierten Dr. Beckham (Keanu Reeves) unter, das einen anderen Ansatz verspricht. Dafür wird sie zusammen mit anderen essgestörten Jugendlichen und jungen Erwachsenen in einem Haus untergebracht. Dort lernt sie den Tänzer Luke kennen, der durch eine Knieverletzung und anhaltende Essstörungen seine Karriere aufgeben musste. Die beiden fühlen sich einander verbunden.
Über Ellens Hintergründe erfährt man wenig. Wenn sie nicht in der Klinik ist, lebt sie bei ihrer Stiefmutter und ihrer Halbschwester – der Vater ist nie zu sehen, da er immer geschäftlich unterwegs ist. Ihre leibliche Mutter lebt nach der Scheidung von Ihrem Mann in einer lesbischen Beziehung. Sie kommt mit der Krankheit ihrer Tochter nicht klar und geht deshalb auf Distanz.
Privat zeichnet Ellen viel und verarbeitet ihre Krankheit in ihren Bildern, die sie früher auch online postete. Das brachte ihr viele Fans ein. Nach einem Zwischenfall, bei dem ein junges Mädchen, angeblich angeregt durch ihre Bilder, Suizid begangen hatte, löschte sie ihren Account jedoch.

Die Kritiker des Films sind sich einig, dass er nicht abschreckend genug sei und die falschen Signale sende – ja sogar zur Nachahmung anregen könne, da die Gefahr bestünde, dass Lily Collins mit ihrer Verkörperung der Ellen eine Vorbildfunktion für viele Betroffene einnimmt.

Ich habe den Film mit dieser Kritik im Kopf geschaut und muss sagen, dass ich diese in vielen Punkten so nicht unterstützen kann. Richtig ist meiner Meinung nach, dass der Film an vielen Stellen oberflächlich bleibt. Man erfährt sehr wenig über Ellen als Person, was sie denkt, was sie fühlt und über ihre Hintergründe. Vieles wird nur angedeutet - Stalker, sexuelle Belästigung in der Jugend, Suizid eines ihrer Follower - und verliert dadurch an Glaubwürdigkeit.
Ein weiterer Negativpunkt ist die Darstellung der Therapie durch Dr. Beckham, die als revolutionär angepriesen wird, von der letztendlich aber kaum etwas gezeigt wird und die wenig revolutionär wirkt. Die Rolle des Doktors, gespielt von Keanu Reeves, bleibt dadurch leider sehr flach und wirkt ein wenig uninspiriert.

Tatsächlich ungerechtfertigt erscheint mir die Aussage, der Film sei nicht abschreckend genug. Lily Collins verkörpert die Auswirkungen der Krankheit - soweit ich das beurteilen kann - erschreckend realistisch. Ihr extra für die Rolle heruntergehungerter Körper inklusive Begleiterscheinungen der Krankheit wie dichtere Körperbehaarung sind so real, dass ich als Zuschauer das Gefühl hatte, da wirklich jemanden vor mir zu haben, der unter dieser Krankheit leidet (was eventuell auch daran liegen mag, dass Lily Collins, sowie Regisseurin Marti Noxon, selber mit Magersucht zu kämpfen hatten). In keiner Szene hatte ich das Gefühl, dass die Krankheit glorifiziert wird, sondern eher im Gegenteil: Lily Collins‘ Ellen ist extrem verstörend und traurig und in keiner Weise cool, lässig oder gar "zu attraktiv".
Ebenfalls ungerechtfertigt finde ich die Kritik, die bemängelt, dass die "Liebesgeschichte" zwischen Ellen und Luke den Eindruck erwecke, dass man auch als Magersüchtige noch begehrenswert sei. Wie schlimm wäre es denn, wenn man durch die Krankheit komplett entmenschlicht würde? Schließlich sind wir mehr als nur unser äußeres Erscheinungsbild.

To the Bone ist kein Film, der primär der Unterhaltung dient. Ich finde es richtig und wichtig, dass die Popkultur auch heikle Themen aufgreift, solange diese nicht auf fahrlässige Weise unreflektiert dargestellt werden. Der Film schafft es trotz kleiner Schwächen, die Probleme der Krankheit und die Auswirkungen realistisch und in all ihrem Schrecken zu präsentieren. Das liegt vor allem an der sehr guten schauspielerischen Leistung von Lily Collins und weniger an der stellenweise oberflächlichen Story.

Photo Credits: Gilles Mingasson/Netflix

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

NaturalBornFavorites: Life is Strange

Ich stelle euch heute eines meiner absoluten Lieblingsgames im Adventure-Bereich vor: Life is Strange vom französischen Entwickler Dontnod . Das Spiel ist von der Sorte, die ich als Gelegenheitsgamerin an der PS4 am liebsten habe. Man kann den Spielverlauf mit seinen Entscheidungen verändern (Multiple-Choice-Prinzip) und spielt eine zusammenhängende Story ohne sich in Nebenhandlungen zu verlieren. Vom Aufbau her erinnert das Spiel eher an einen Film - es ist unterteilt in fünf Episoden, die jeweils einen Tag der Woche umfassen - und es gibt viele Momente zum zurücklehnen und genießen der verträumten filmischen Sequenzen. Die Story im Überblick: Nach fünf Jahren Abwesenheit kehrt die 18-jährige Maxine Caulfield zurück in ihre Heimatstadt Arcadia Bay (fiktive Kleinstadt) im amerikanischen Oregon um an der bekannten Blackwell Academy Fotografie zu studieren. Während Ihrer Abwesenheit hat sie den Kontakt zu ihrer ehemaligen besten Freundin Chloe verloren.  Bereits in der ersten

Valerian - ein Satz mit X

Wir haben uns gestern Valerian – Die Stadt der tausend Planeten im Kino angesehen. Zunächst: Die Kritiker haben recht, wenn sie die optische Gestaltung des Filmes loben. Die Bilder, die Regisseur Luc Besson auf die Leinwand bringt, sind bombastisch. Ein Feuerwerk aus Farben und Formen und ja, sie können streckenweise über die schwache Handlung hinwegtrösten. Aber eben nur streckenweise! Denn abgesehen davon ist Valerian ein echt schlechter Film. Valerian – Die Stadt der tausend Planeten basiert auf der französischen Comicreihe Valérian et Laureline von Pierre Christin und Jean-Claude Mézières. Der erste Teil erschien bereits 1967 und war (zunächst) insbesondere in Europa ein Riesenerfolg. Angeblich soll das Science-Fiction-Comic um die „Weltraumagenten“ Valérian und Laureline sogar George Lucas inspiriert haben . Die Comicserie hat eine Verfilmung also in jedem Fall verdient. Eine richtige Hollywoodverfilmung mit großen Namen wie Clive Owen und Ethan Hawke, inszeniert von einem

Kindred Spirits: A Star Wars Story

Der Sommer ist (zumindest meteorologisch) da und mit ihm kommen die lang ersehnten Sommerurlaube. Urlaubslektüre gewünscht? Dann habe ich einen Tipp für euch: Rainbow Rowell hat ein kleines aber wirklich feines Büchlein über drei junge Menschen und deren Liebe zu Star Wars geschrieben.